Ist Value-Investing heutzutage noch Value-Investing?

In vergangener Zeit stand das klassische Zigarrenstummel-Investing nach Graham für „Value-Investing“, was sich bis heute stark gewandelt hat. Viele moderne Value-Investoren fokussieren sich auf verschiedene Value-Stile, statt sich an den Kapitalmärkten notorisch auf die Suche nach unterbewerteten Wertpapieren zu machen. Bei modernen Value-Investoren, wie auch bei uns, besteht meist eine Koexistenz verschiedener Value-Investing Stilrichtungen im Portfolio. An dieser Stelle kann die Entwicklung des Automobils und die aktuelle Koexistenz von Elektro-, Hybrid- und Verbrennungs-Automobilen herangezogen werden. Das erste Elektroauto wurde in den 1830er Jahren vor dem ersten Benzinauto um 1880 entwickelt. Der Verbrenner setzte sich aber in den 1900er Jahren vorerst durch, aktuell liegt der Fokus wieder beim „alten“ Modell des Elektroautos. Je nach Marktphase, Trend oder Stand der Technik lässt sich beim Automobil sowie auch beim Value-Investing der Einsatz des einen sowie der anderen Stilrichtungen beobachten. Wir kombinieren die verschiedenen Value-Stile für Aktien Schweiz und versuchen so in jeder Marktphase das Optimum für unsere Portfolios zu erwirtschaften. Unser Fokus liegt aber ganz klar bei Qualitätstiteln nach den unten beschriebenen Stilrichtung zwei und drei.

 

Zigarrenstümmel-Investing
Am Ursprung des Value-Investing steht das Wirken von Benjamin Graham und die Veröffentlichung seines Buches „Security Analysis“ im Jahr 1934. Daraus Entstand die erste Hauptstilrichtung des Value-Investing, das sogenannte Zigarrenstummel-Investing, welches durch Graham und anfangs auch durch Warren Buffett, als Schüler von Graham, praktiziert wurde. Sie kauften nach einer gründlichen Analyse Firmen, die zu einem deutlichen Abschlag zum inneren Wert gehandelt wurden. Ganz nach dem Motto „get the dollar for 50 Cent“. Das Geschäftsmodell der zu investierenden Firma stand nicht im Vordergrund. Nur der innere Wert musste höher sein als der Preis zudem das Unternehmen gehandelt wurde. Sie versuchten sinnbildlich den letzten Zug aus einer fast abgebrannten Zigarre zu ziehen und warfen die Zigarre danach weg, daher der Name Zigarrenstummel-Investing. In der momentanen Marktphase ist es zu einer regelrechten Herausforderung verkommen, solch unterbewertete Firmen zu finden. Dies kann sich jedoch in schlechteren Marktphase jederzeit ändern.

Seit Dezember 2018 konnte die Messe Schweiz (MCH Group) als ein Investment der ersten Hauptstilrichtung eingesetzt werden. Im Dezember wurde das Unternehmen zeitweise zu CHF 108 Mio. Börsenwert und im März diesen Jahres sogar zu einem Preis von CHF 94 Mio. Börsenwert gehandelt. Allein die Flüssigen Mittel des Unternehmens lagen per 31.12.2018 bei CHF 130 Mio., das Anlagevermögen von CHF 248 Mio., welches hauptsächlich aus Grundstücken und Messegebäuden an urbanen top Standorten besteht, nicht mal eingerechnet. Das Messen-Geschäftsmodell ist veraltet, doch konnte man die tiefe Bewertung zu einem Einstieg nutzen. Der Ausstiegspreis wurde rational und objektiv klar definiert, wie dies einst Buffett und Graham in den 1940er Jahren mit der Sichherheitsmarge getan haben. Der Kursanstieg in den letzten drei Monaten von zeitweise +33% zeigt die doch zeitweise sehr tiefe und irrationale Bewertung der Messe Schweiz Aktien.

 

Burggraben-Investing
Als zweite Hauptstilrichtung kann die Weiterentwicklung von Charlie Munger und Warren Buffett in den 1970er Jahren bezeichnet werden. Dabei konzentriert man sich auf Qualitätsfirmen mit einem Burggraben. Als Burggraben wird der Schutz des Geschäftsmodells einer Firma bezeichnet. Der Burggraben kann dabei eine Marke, ein Patent, ein angebots- oder nachfrageseitiger Grössenvorteil oder sonstiger Vorteil sein, wodurch es der Konkurrenz sehr schwer gemacht wird, das Geschäftsmodell der bestehenden Firma anzugreifen. Bei der zweiten Hauptstilrichtung spielen der Burggraben und die daraus resultierenden langfristig positiven Gewinnaussichten eine zentrale Rolle. Ein solches Qualitätsunternehmen erhält man an den Kapitalmärkten generell nie stark unterbewertet, ausgenommen in einem Börsen-Crash. Es gilt seine Hausaufgaben zu machen und infrage kommenden Qualitätsunternehmen zu eruieren, um in einer schlechten Marktphase zuschlagen zu können.
In solche Unternehmen investieren wir grundsätzlich nach dem Durchschnittskosten-Effekt, das heisst wir investieren schrittweise und kaufen in schlechteren Marktphasen oder bei kurzer Volatilität mehr Anteile, als in gut laufenden Phasen. In die Qualitätsfirma Lindt & Sprüngli, mit ihrer starken Marke, tätigten wir schrittweise Investitionen in der Baisse vom Dezember 2018, sowie in den Rücksetzern vom April und Mai 2019. Aktuell liegt die Bewertung rund +21% höher als noch im tief im Dezember 2018. Aus langfristiger Sicht ist der Schokoladenproduzent mit Fokus auf das Premiumsegment hervorragend aufgestellt und bietet langfristiges Wachstumspotential.

 

Value-Wachstum
In der dritten Hauptstilrichtung wird der Fokus vermehrt auf die Werte, dem „Value“, in einer Firma und deren Wachstumsmöglichkeit gelegt. Hierbei kann der „Value“ einer Firma in ihrem Netzwerk, ihrer Infrastruktur, ihrer Technologie oder ihren Daten uvm. liegen. Gerade in der fortschreitenden Technologieentwicklung ist es sehr schwer geworden, den wahren Wert einer Firma zu bestimmen. Beispiele aus den USA dazu sind Apple, Amazon (Daten und Netzwerk) oder BNSF (S chienennetzwerk aufgebaut über die letzten 100 Jahre) in die Buffett investierte. In der Schweiz wären es Firmen wie Roche, Novartis (beide Patientendaten und Forschung- und Entwicklungskosten), Schindler (Netzwerk ihrer Aufzüge und Treppen), Belimo (Netzwerk ihrer Produkte in Gebäuden und Forschung- und Entwicklungskosten) oder der Flughafen Zürich (Infrastruktur des Flughafens) die solche Werte beinhalten. Es würde Unmengen an Investitionen in Infrastruktur, Entwicklungskosten, Marketing, Netzwerk uvm. erfordern, um ähnliche Marktposition wie die genannten Firmen zu erreichen. Dies würde Milliarden an Investitionskapital verschlingen. Der Einbezug dieser Werte, dieses „Values“ einer Firma und ihres potentiellen Wachstums kann als dritte Hauptstilrichtung erachtet werden. In unseren Portfolios setzen wir alle genannten Schweizer Firmen mit entsprechendem „Value-Wachstum“ ein und möchten die Firma Belimo noch genauer beleuchten.

Der Apple Hauptsitz im Silicon-Valley, das Burj Khalifa in Dubai oder das One World Trade Center in New York haben eines gemeinsam. Überall finden sich Antriebe, Ventile und Sensoren von Belimo. Belimo hat mit mehr als 30% einen hohen Marktanteil, sprich jedes dritte Gebäude ist mit Belimo-Komponeten ausgerüstet. Sind ihre qualitativ hochstehenden Antriebe, Ventile oder Sensoren einmal in einem Gebäude installiert, kann Belimo den Service ihrer Produkte meist über einen langen Zeitraum übernehmen und die jeweiligen Gebäude-Daten langfristig sammeln. In Forschung- und Entwicklung investiert sie rund 7% des Umsatzes. In absoluten Beträgen ist dies teilweise das 10fache an Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen gegenüber direkten Konkurrenten. Neben ihrer guten Marktstellung arbeitet Belimo sehr effizient mit ihrem Kapital. Es konzentriert sich auf die Forschung, die Montage und die Verpackung ihrer Erzeugnisse. Die Bestandteile stammen hingegen ausschliesslich von Lieferanten. Auf diese Weise erzielt Belimo eine EBITDA-Marge von 21%, was in ihrem Industriezweig unerreicht bleibt. Seit den letzten grösseren Investitionen hat sich Belimo mit knapp +50% in den Portfolios seit Dezember 2018 hervorragend entwickelt. Das Bewertungsniveau ist aktuell mit einem KGV 37 hoch und wir planen weitere Investitionen bei den nächsten Rückschritten an der Börse.

 

Ist Value-Investing noch Value-Investing?
Rational betrachtet kann gesagt werden, dass es nicht das „Value-Investing“ gibt, sondern dass verschieden Stilrichtungen koexistieren und jeder Investor seine eigenen Ideen und Ansichten in seine Anlageentscheide einbeziehen soll. Wie Buffett dies an der letzten Hauptversammlung der Berkshire Hathaway im Mai 2019 annähernd verlauten lies: „Jede Investition ist „Value“, du musst nur für dich herausfinden was der Value dieser Firma für dich ist und das du in Zukunft mehr für die Firma bekommst, als du gezahlt hast.“. Schlussendlich geht es für uns als Schweizer Value-Investoren darum den „Value“, den Wert, unserer Investments zu bestimmen und die Wahrscheinlichkeit zu maximieren, dass man in Zukunft mehr für sein Investment bekommt, als man gezahlt hat.

NBR/29.07.2019

 

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